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Streit über Target2-Salden - Im Interview: Frank Westermann

"Noch immer Sorgen vor einer Redenominierung"


Der Wirtschaftsforscher über den Anstieg der Target2-Salden, die Risiken für Deutschland und Reformideen

 

Frank Westermann
Börsen-Zeitung, 8.8.2018, S. 7

 

Wirtschaftsprofessor Frank Westermann forscht seit langem auf dem Gebiet der Target2-Salden und gilt als einer der führenden Experten bei dem Thema. An der Universität Osnabrück hat er seit 2005 einen Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftspolitik inne. Habilitiert hat Westermann an der Universität München.


Herr Professor Westermann, die Target2-Forderungen der Bundesbank haben zuletzt in der Tendenz wieder deutlich zugelegt, auch wenn es jetzt im Juli einen spürbaren Rückgang gab. Wie erklären Sie sich den jüngsten Anstieg und wie sehr sorgt er Sie?


Der Rückgang nach zwei aufeinanderfolgenden Anstiegen ist typisch und passt in das Muster der vergangenen Jahre. Langfristig gibt es einen Trend nach oben, für den seit 2015 vor allem das Wertpapierkaufprogramm Quantitative Easing (QE) der Europäischen Zentralbank (EZB) verantwortlich ist. Grund zur Sorge gibt es aus zwei Gründen: Zum einen zeigt die Entwicklung, dass die Liquidität nicht dort ankommt, wo sie gebraucht wird – denn das Geld fließt überwiegend nach Deutschland. Zum anderen besteht ein Risiko, falls ein Land aus dem Euro austritt oder ein Land bei einem Zinsanstieg die Zinsen nicht mehr bedienen kann. Dann tragen die verbleibenden Länder im Währungsraum die Verluste.

Sehen Sie auch eine Kapitalflucht aus Ländern wie Italien als eine mögliche Ursache für die zuletzt wieder gestiegenen Target2-Salden im Euroraum?


Bislang noch nicht – zumindest ist es zu früh, die letzten Anstiege in Italien so einzuordnen. Die letzte große Welle der Kapitalflucht gab es Ende 2016 bis Anfang 2017. Die EZB argumentiert, dass sie selbst die Salden treibt, weil Notenbanken bei QE die Wertpapiere oft außerhalb des Landes kaufen, zum Beispiel in Frankfurt. Dort hätten die großen Vermögensverwalter nun einmal ihre Konten. Ganz plausibel ist das nicht. Man könnte zum Beispiel überlegen, was passieren würde, wenn die EZB die Käufe auf einem Konto in Athen kreditiert. Wäre dann Griechenland der größte Target2-Gläubiger? Wohl kaum, denn dann würden die Märkte das Geld dort bald wieder abziehen. Die EZB ist nur für den Primäreffekt verantwortlich, aber letztlich entscheiden die Anleger, wo sie das Geld halten wollen. So gesehen sind die steigenden Salden noch immer ein Zeichen für Fragmentierung und die Sorge vor einer Redenominierung der Währung in einzelnen Ländern.

Viele Ökonomen und auch einige Politiker in Deutschland warnen vor hohen finanziellen Risiken für die Bundesbank und letztlich den deutschen Haushalt. Zu Recht?

Das eigentliche Risiko ist nicht die Budgetrelevanz, sondern der Vermögenseffekt: Geld fließt zurzeit nach Deutschland, aber Eigentumsrechte an Aktien, Wertpapieren und Immobilien fließen in die andere Richtung. Die Bundesbank muss die Zahlungen dafür kreditieren und erhält im Gegenzug nur eine Target2-Forderung gegen das Eurosystem. 913 Mrd. Euro sind ein erheblicher Betrag. Bei der aktuellen Marktkapitalisierung des Dax von 1141Mrd. Euro würde die Summe reichen, um die Aktien von 28 der 30 gelisteten Unternehmen zu kaufen. Die Bedenken bezüglich des Haushalts sind trotzdem richtig. Sollte ein Land austreten, würde dies eine geringere Gewinnausschüttung der Bundesbank bedeuten, weil weniger Zinseinkünfte verteilt werden. Das ist bei aktuellen Zinsen zwar wenig, aber der Barwert aller künftigen Zinseinnahmen entspricht genau dem heutigen Wert der Target2-Salden.

Eine Sorge ist auch, dass Länder mit hohen Target2-Verbindlichkeiten, wie etwa Italien, in Diskussionen über die Reform der Währungsunion Länder wie Deutschland mit den Verbindlichkeiten zu Zugeständnissen erpressen könnten. Teilen Sie diese Sorge?

Im Hintergrund spielt das sicher eine Rolle. Da die Kosten eines Break-ups der Eurozone ohnehin prohibitiv groß sind, lässt sich der Einfluss von Target2 nicht genau beziffern. Aber gestärkt wird die Verhandlungsposition der Bundesregierung damit ganz sicher nicht.

Gehört das Target2-System nach zehn Jahren und den Lehren der Euro-Schuldenkrise auf den Prüfstand? Welche Ansatzpunkte gäbe es?

Ja, das Vorbild ist das amerikanische Federal Reserve System. Dort werden die Salden periodisch getilgt. Wichtig ist, dass damit der freie Kapitalverkehr in keiner Weise eingeschränkt wird. Auch bei einem Target2-Saldo von null kann beliebig viel Geld von einem Land ins andere fließen – wie vor der Finanzkrise. Durch die Tilgung wird es für die Länder aber viel weniger attraktiv, den Saldo zu groß werden zu lassen. Spielraum gibt es dafür genug: Zentralbanken haben zum Beispiel Einfluss über die Akzeptanz bestimmter Sicherheiten, bis hin zu ELA-Krediten. Aufsichtsbehörden haben etwa Einfluss über die Solvenzentscheidungen bei Banken – soweit sie nach dem SSM dafür noch zuständig sind. Und die Regierungen können Staatsgarantien aussprechen, die die Menge an verfügbaren Sicherheiten erhöhen. In all diesen Punkten würden die Länder bei einem periodischen Saldenausgleich mit werthaltigen Sicherheiten vorsichtiger sein.
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Die Fragen stellte Mark Schrörs.

 

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