Euro Crisis Monitor

 

 

The Euro Crisis Monitor is maintained by the Institute of Empirical Economic Research of Osnabrück University

University Osnabrück Logo


 
Contact

Prof. Frank Westermann. Ph.D.
frank.westermann[at]uos.de
website

Dr. Sven Steinkamp
sven.steinkamp[at]uos.de
website


 


Was die Lehren der Tequila-Krise für den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik bedeuten

Der Ausstieg der EZB aus der expansiven Geldpolitik impliziert keinen Rückgang der TARGET2-Salden. Die Erfahrung lehrt uns: Es könnte genau andersherum kommen.

 

Frank Westermann
Gastbeitrag auf Handelsblatt-Online, 14.01.2019

 

Um zu verstehen, was spekulative Attacken für Steuerzahler bedeuten, versetzt man sich am besten in das Jahr 1994 zurück. Die erste große Zahlungsbilanzkrise im Zeitalter globalisierter Finanzmärkte fand damals in Mexiko statt.

Die Zentralbank hatte gerade versucht, ein Zeitfenster für Reformen zu öffnen. Während dieses Zeitraums stellte sie nahezu unbegrenzt Kredit zur Verfügung und hoffte auf einen Aufschwung. Doch die Märkte antizipierten, dass bei den anstehenden Wahlen die schmerzhaften Reformen nicht umgesetzt würden und zogen das Geld aus Mexiko ab statt zu investieren.

Die Notenbank tauschte die ihr angebotenen Pesos zum Fix-Kurs von circa 1:3 in Dollar um und ermöglichte so die Kapitalflucht. Die Peso-Geldmenge wurde dabei verfünffacht, die Währungsreserven schrumpften auf ein Fünftel. Panik setzte ein – denn schnell wurde klar, dass die Reserven nicht mehr lange reichen würden, um Peso-Vermögen in US-Dollar zu verwandeln. Je kleiner die Reserven wurden, desto schneller wollten die Anleger ihr Geld abziehen.

Ein Vierteljahrhundert später ist diese Erfahrung der Tequila-Krise von 1994 noch immer aktuell: Im Euro-Währungsgebiet hatte sich in 2011 eine ähnliche Panik ausgebreitet. Der zentrale Unterschied besteht darin, dass Europa kein Fix-Kursverbund ist, sondern eine gemeinsame Währung hat. Die Währungsreserven der Krisenländer blieben daher unangetastet, als private Anleger ihr Geld aus Griechenland, Italien, Irland, Portugal und Spanien abzogen.
Aktuelle Club-Events

Die EZB verhielt sich jedoch zu Beginn der Krise sehr ähnlich: Sie beschloss die Vollzuteilungspolitik, lieh also den Banken beliebig viel Geld. Die Notenbanken im Eurosystem druckten dabei keine Drachmen, Lira oder Pesetas mehr, sondern Euros. Das Motiv war gleich. Wieder sprachen alle von einem Zeitfenster für Reformen. Und die Reaktion der Märkte war ähnlich, denn die Anleger nutzen die Liquidität, um ihr Vermögen aus Südeuropa und Irland abzuziehen.

Ein Unterschied zwischen den beiden Krisen besteht darin, dass die Banca de Mexico ihre Geldschöpfung nur verfünffachte, während die Krisenländer Europas sie bis zum Höhepunkt der Krise fast verzehnfachten. Ein normales Fixkurssystem hätte eine Zahlungsbilanzkrise dieser Größenordnung wohl nicht ausgehalten.

Was bedeutet diese Flexibilität, die die EZB den Zentralbanken der Krisenländer gewährte, für die Bürger und Steuerzahler? Und wo liegen die Grenzen der Kapitalflucht innerhalb Europas?

Zunächst zu den Grenzen: Aus heutiger Sicht vergisst man leicht, dass die EZB im Frühjahr 2011 überlegte, aus der expansiven Geldpolitik auszusteigen. Der damalige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hatte zuvor schon eine große Rede über die kommende „Exit-Strategie“ gehalten, der Zentralbankrat hatte die Zinsen erhöht und die Sicherheitsanforderungen für Kredite verschärft.

Im Gegensatz zu Mexiko sind die Netto-Kapitalabflüsse in Südeuropa zwar nicht durch ihre Währungsreserven beschränkt, wohl aber durch die gemeinsame Geldpolitik. Wenn die EZB ein Ziel für das Währungsgebiet vorgibt, zum Beispiel um Inflation vorzubeugen, kann die Geldschöpfung der einzelnen Notenbank nicht unbegrenzt wachsen.

Der absehbare Konflikt zwischen Trichets Exit-Strategie mit der fortlaufend hohen Zentralbankkredit-Nachfrage in den Krisenländern war rückblickend ein wesentlicher Faktor, der auch in Europa die Dynamik zu einer spekulativen Attacke hat anschwellen lassen. Im Winter 2011/12 stand die EZB vor der schwierigen Entscheidung, einen Auseinanderbruch zu riskieren oder die Exit-Strategie aufzugeben. Mario Draghis „Whatever it takes“ signalisierte den Märkten, wie die EZB sich fortan verhalten würde: Sie werde alles tun, um den Euro zu retten.

Für die Steuerzahler in Mexiko bedeutete die Zahlungsbilanzkrise, dass sie öffentliches Vermögen, die Währungsreserven des Landes im Wert von circa 20 Milliarden US-Dollar, verloren. Die Gewinner waren die Anleger, die in mexikanische Staatspapiere investiert hatten und nun in gleichem Umfang Aktien, Immobilien und Staatspapiere in Amerika besaßen.

In Europa ist dies nicht viel anders, nur dass der Verteilungskonflikt um den Schaden noch bevorsteht, falls der Euro auseinanderbricht. Denn dann wird es eine große Schlussabrechnung geben, bei der festzustellen ist, welche Notenbank wie viel Euro (elektronisch) gedruckt hat und wie viel davon grenzüberschreitend überwiesen wurde. Die Target2-Salden messen letzteres.

In der Jahresendbilanz 2018 lag die Target-Forderung der Bundesbank bei 966 Milliarden Euro. In diesem Umfang ist Zentralbankgeld aus anderen Ländern nach Deutschland geflossen. Dies entspricht bei aktueller Marktkapitalisierung dem Wert von 28 der 30 Dax-Unternehmen.

Bei der Diskussion um die mögliche Budgetrelevanz dieser Salden wird eines häufig vergessen: Der eigentliche Schaden, der Verlust an Vermögen des verbleibenden Euro-Währungsgebietes, ist am Tag des Austritts einzelner Länder bereits eingetreten. Durch jahrzehntelange reduzierte Gewinn-Ausschüttung an die Mitgliedsstaaten kann dieser Verlust über Generationen verteilt werden.

Dies ist aber für die Bewertung des Schadens so wenig relevant, wie es zum Beispiel einem Aktienbesitzer egal sein kann, ob er einen sofortigen Kursverlust oder einen dauerhaften Dividendenausfall tragen muss. Wenn man die Target2-Schuldner zwingt, die Verbindlichkeiten beim Austritt in Euro zu bedienen, wäre es nicht viel besser, denn dann hätten die Steuerzahler der Krisenländer einen Schaden analog zu Mexiko. Besser wäre es daher die Salden schon vorher periodisch zu tilgen, so wie es in den USA beim Interdistrict-Settlement Account üblich ist.

Die Exit-Strategie von 2011 ist eine Warnung an all diejenigen, die glauben, der aktuelle Ausstieg aus der Quantitativen Lockerung (QE), also aus der expansiven Geldpolitik, würde nun auch einen Rückgang der TARGET2-Salden implizieren. Die bisherige Erfahrung mit spekulativen Attacken und Ausstiegs-Strategien lehrt: Es könnte auch genau umgekehrt kommen.

-------------------------

Der Autor: Frank Westermann ist Professor für Volkswirtschaftslehre in Osnabrück. Sein Buch „Boom-Bust Cycles and Financial Liberalization“, gemeinsam mit Aaron Tornell, bei MIT Press, untersuch die Finanzkrisen der 80er und 90er Jahre. Das von ihm geleitete Institut für Empirische Wirtschaftsforschung verfolgt seit 2011 die Target2-salden auf der Seite www.eurocrisismonitor.com.

Nachzulesen auf www.handelsblatt.com

 

[Main page] - [About]